23.09.2025

Das Herz wird nicht dement

Spaß und Freude zur Abwechslung im oft anstrengenden Alltag gibt es für Demenzkranke und ihre Angehörigen im Tanzcafé
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Spaß und Freude zur Abwechslung im oft anstrengenden Alltag gibt es für Demenzkranke und ihre Angehörigen im Tanzcafé

Ein Interview zur Woche der Demenz

Auf dem Rathausplatz ist schon die Musik zu hören, die aus dem Remchinger Altenpflegeheim schallt. Wer näher ran geht, sieht strahlende Gesichter, schunkelnde und tanzende Menschen, die sich immer neue Tanzpartner suchen. Beim Tanzcafé der Lokalen Allianz für Menschen mit Demenz Remchingen vergessen Erkrankte und Angehörige für zwei Stunden ihren Alltag und die Last, die auf vielen von ihnen liegt. Erinnerungen kommen hoch an längst vergangene Tage, an vergessen geglaubte Liedtexte und gute Momente. Zwei, die mitten auf der Tanzfläche sind, sind Martina Usländer und Francesca Agozzino vom DemenzZentrum, das einen Standort im Remchinger Rathaus hat, aber vom Landratsamt Enzkreis betrieben wird. Sie beraten und begleiten Erkrankte und ihre Angehörigen, schaffen Angebote und wollen die Öffentlichkeit für das Thema Demenz sensibilisieren. Anlässlich der Woche der Demenz haben wir ihnen Fragen gestellt wie: Was ist Demenz? Welche Folgen kann die Erkrankung haben? Wie geht man damit um? Unter dem Motto „Mensch sein und bleiben“ findet die diesjährige Woche der Demenz vom 19. September bis zum 28. September bundesweit statt.

Was ist Demenz?

Der Begriff Demenz umfasst eine Vielzahl verschiedener Krankheiten, die dadurch charakterisiert werden, dass sie kognitive Fähigkeiten angreifen und zu einer Einschränkung gewohnter, alltäglicher Kompetenzen sowie des Erinnerungsvermögens und zu einer Veränderung der Persönlichkeit führen können. Auch Aufmerksamkeit, Sprache, Auffassungsgabe, Denkvermögen oder Orientierungssinn können dadurch beeinträchtigt werden. Eine Demenz kann sich in verschiedenen Formen zeigen und unterschiedliche Ursachen haben. Etwa 80 Prozent aller Demenzen werden durch neurodegenerative Krankheiten verursacht, welche aus größtenteils noch unbekannten Gründen unterschiedliche Abschnitte der Hirnrinde angreifen. Zu diesen neurodegenerativen Krankheiten zählen beispielsweise die Alzheimer-Krankheit, die Lewy-Körper-Demenz und die Frontotemporale Demenz. Bei einer Vaskulären Demenz führt die Erkrankung der Blutgefäße zu einem Mangel der Blutversorgung und damit einhergehenden Schäden in verschiedenen Bereichen des Gehirns. Selten können Demenzen auch als Folgen von Depressionen, Tumoren, Vitamin-, Hormon- oder Flüssigkeitsmangel auftreten. Die allermeisten Demenzen treten erst im höheren Alter auf.

Mit einer Demenzerkrankung kann sich auch die Persönlichkeit verändern

„Nach aktuellem Forschungsstand ist eine Demenz nach wie vor nicht heilbar und auch Medikamente können sie nicht dauerhaft aufhalten“, beschreibt Martina Usländer. Sie fügt hinzu: „Gerade in der Anfangsphase kann man aber entgegenwirken. Bei einer Vaskulären Demenz können zum Beispiel Blutgerinnungsmittel unterstützend wirken, bei einer begleitenden Depression entsprechende Antidepressiva.“ Wie sich die Demenz entwickelt und welche Symptome auftreten, hängt von der Ursache der Erkrankung ab. Usländer erklärt bildlich gesprochen: Alle bewussten und unbewussten Eindrücke, die wir über den Tag sammeln, von Gerüchen über Töne und Ereignisse, werden in unserem Arbeitskurzzeitgedächtnis gespeichert. Unser Gehirn ist in der Lage, zu selektieren – Wichtiges wird im Langzeitgedächtnis gespeichert, Unwichtiges wieder vergessen. Bei einer Demenz blockiert die „Daten-Autobahn“, die ins Langzeitgedächtnis führt, sodass dort nichts mehr Neues gespeichert werden kann. Hinzu kommt, dass auch ältere Erinnerungen Stück für Stück verschwinden. Die jüngsten gehen dabei zuerst verloren, Kindheitserinnerungen bleiben länger. „Und hier steigen wir mit unseren Angeboten ein“, sagt Francesca Agozzino. Sie ist für die sogenannte Aktivierung zuständig und holt ihre Patienten genau dort ab, wo sie sich geistig gerade befinden. „Wenn mir eine Dame in ihren Achtzigern erzählt, dass sie gerade aus der Schule hergeradelt ist, dann ist das so, auch wenn das von der Realität abweicht. Wir schätzen sie wert und holen sie dort ab, wo sie gerade sind, ohne sie zu korrigieren.“ Menschen mit Demenz haben immer Recht. Das ist einer der Leitsätze im Umgang mit Erkrankten. Denn für sie ist es in dem Moment die Realität. Entgegen der instinktiven Reaktion vieler Angehöriger, den Erkrankten zu widersprechen und sie an die Realität zu erinnern, kann es der Person mit Demenz und dem Verhältnis zu den Angehörigen schaden, da die gegebene Wahrnehmung für die Person real ist und Widerspruch zu Wut und Frustration führen kann. Eine Überzeugung mit Fakten und logischen Argumenten ist nicht möglich. Es kann passieren, dass demenzerkrankte Menschen nur noch ihr junges Ich und auch nur noch die junge Version ihrer Angehörigen kennen. Deshalb kann es vorkommen, dass sie ihre Kinder, Verwandten oder Freunde nicht wiedererkennen oder verwechseln.

Menschen mit Demenz sind auch Menschen – mit kognitiven Einschränkungen

Martina Usländer tanzt mit einer älteren Dame. (c) Gemeinde Remchingen; Alina Di Sannio

„Ein zweiter Leitspruch ist: Das Herz wird nicht dement“, erklärt Agozzino. Selbst wenn die Erinnerung fehlt, bleiben die emotionalen Bindungen und Gefühle bestehen. Menschen mit Demenz erinnern sich eventuell irgendwann nicht mehr an die Namen ihrer Angehörigen, spüren aber immer noch gleiche Gefühle in deren Nähe.

Einen Einblick in das Leben mit Demenz gibt das preisgekrönte Theaterstück "Du bist meine Mutter" am Mittwoch, 8. Oktober 2025 um 19.30 im Nöttinger Löwensaal. Der Schauspieler Achim Conrad zeigt Alltägliches zwischen Sohn und Mutter. Als Solo übernimmt er beide Rollen. Nähe und Distanz wechseln wie das Erinnern und das Verschwinden der gemeinsamen Geschichte. Tickets kosten 11 Euro.

Eine weit verbreitete Annahme ist, dass sich Menschen mit Demenz ihrer Situation nicht bewusst sind, nicht wissen, dass etwas falsch ist. Diese Auffassung stimmt in vielen Fällen jedoch nicht, gerade zu Beginn der Erkrankung bemerken die Betroffenen nach und nach die Veränderung. Sie merken, dass sie schon einfachen Alltagsaufgaben nicht mehr nachgehen können. Zum Beispiel können sie den Tisch nicht mehr decken, weil sie nicht mehr wissen, wie eine Gabel, ein Messer, ein Teller aussieht. Die Folge sind Gefühle der Scham, Angst und Wut, womöglich ebenso Depressionen. Aus eigener Frustration oder aus gutem Willen versuchen Angehörige, den Demenzpatienten Arbeit abzunehmen, den Tisch für sie zu decken. "Dieses Verhalten ist vielleicht gut gemeint, aber nicht fördernd. Es schließt die Erkrankten aus und mindert ihr Selbstwertgefühl", erläutert Agozzino. Besser wäre, die Menschen durch kleine Alltagsaktivitäten wie etwa dem Schälen von Kartoffeln einzubinden, sie in ihrer Verwirrung nicht alleine zu lassen oder komplett auszuschließen, sondern sie zu begleiten und als Menschen zu behandeln, die noch immer Teil haben wollen und gebraucht werden. 

Pflege als Herausforderung

Die Pflege erkrankter Angehöriger fordert daher viel Geduld, Kraft und kann für Angehörige auf Dauer belastend werden. Stress, körperliche Belastung und Trauer um die betroffene Person, deren früheres Selbst immer mehr verschwindet, können Angehörige in eine schwierige Situation versetzen. Usländer und Agozzino raten dazu, sich früh Hilfe zu holen: "Je früher man sich Hilfe ins Haus holt, desto eher wird sie von den Erkrankten akzeptiert." Wichtig ist ihnen, die Angehörigen nicht aus dem Blick zu lassen. Denn die Gefahr besteht, dass vor lauter Fürsorge für den anderen das eigene Leben leidet und Angehörige selbst erkranken. "Deshalb sollte die Devise für sie lauten: Ich pflege dich nicht, solange du willst, sondern ich pflege dich, solange ich kann", beschreibt Usländer.

Für sowohl körperliche als auch mentale Entlastung kann ein familiäres und freundschaftliches Netzwerk sorgen. Zusätzlich wünschen sich die beiden Expertinnen mehr Bewusstsein und Rücksicht innerhalb der Bevölkerung. "Mit der Erkrankung sollte keine Scham einhergehen, sondern Akzeptanz. Menschen mit Behinderung gehören inzwischen zu unserem Alltag dazu. Genau das würden wir uns auch für Demenzerkrankte wünschen." Füreinander da sein, auch nur mit kleinen Gesten, das wäre schön. Mal nach dem erkrankten Nachbar schauen, im Restaurant nicht über die Demenzkranke am Nachbartisch lachen, weil sie etwas tut, was nicht normal ist, oder einfach zu wissen, warum der alte Mann beim Bäcker wieder ewig braucht, um seine Brötchen zu bezahlen. Mit mehr Wissen über die Krankheit in der Gesellschaft kann der Alltag für Erkrankte und Angehörige einfacher werden.

Angebote unterstützen Betroffene in Remchingen

Keine Lebens- oder Verhaltensweise kann absolute Garantie geben, im Alter einmal nicht an Demenz zu erkranken. Manche Faktoren wie fehlende geistige, soziale und körperliche Aktivität, Übergewicht, Bluthochdruck, Rauchen oder übermäßiger Alkoholkonsum können Demenzerkrankungen fördern. Eine Sicherheit gibt es nie. Die Diagnose Demenz ist für Betroffene und Angehörige ein Schock. Unsicherheit und Angst, wie es nun weitergeht, machen sich breit. Die beiden Kolleginnen vom DemenzZentrum wissen, wie mit Menschen umzugehen ist, die gerade von ihrer Krankheit erfahren haben: "Wir nehmen sie in den Arm, hören zu, trösten und schauen gemeinsam, wie es weitergeht. Wir kontaktieren die Angehörigen und wir lassen niemanden allein."

Martina Usländer (l.) und Francesca Agozzino

Viele Angebote für Menschen mit Demenz und deren Angehörige finden sich auch in Remchingen und der Umgebung. Das DemenzZentrum Remchingen bietet Beratung zur Krankheit, der Alltagsbewältigung und weiteren Unterstützungsangeboten sowie regelmäßige Veranstaltungen.

Der Dienstags-Treff findet wöchentlich jeden Dienstagnachmittag von 15 bis 17 Uhr in der Diakonie Remchingen am San-Biagio-Platani-Platz 5 statt. Eine Anmeldung ist über demenzzentrum@enzkreis.de oder unter 07231 / 308-5034 möglich. Die Kosten pro Nachmittag für Personen mit kognitiven Einschränkungen betragen 20 Euro, für Angehörige 7 Euro.

Weiter bietet der monatliche „Gesprächskreis für Angehörige von Menschen mit Demenz“ Angehörigen die Möglichkeit, sich auszutauschen und weitere Beratung zum Umgang mit Betroffenen zu erhalten. Vor jedem Treffen ist eine Anmeldung unter 07231 / 308-5033 oder über martina.uslaender@enzkreis.de nötig.

Unter dem Motto „Lust am Wandern“ bietet Francesca Agozzino für Menschen mit Demenz und deren Angehörige die Möglichkeit, zusammen die Natur in der Umgebung des westlichen Enzkreises zu genießen und sich mit anderen auszutauschen. Die Touren finden einmal monatlich freitags zwischen 9 und 15 Uhr statt. Mehr Informationen zu den Terminen und zur Anmeldung finden Sie über 07231 / 308-5034 oder unter Francesca.Agozzino@enzkreis.de.

Das Altenpflegeheim Remchingen kümmert sich seit 1991 um die Pflege von älteren oder pflegebedürftigen Menschen. Unter www.altenpflegeheim-remchingen.de oder über 07232 79780 erfahren Sie mehr.

Die Diakoniestation Remchingen betreibt seit 1993 unter anderem Kranken- und Altenpflege. Kontakt ist über 07232 36930 oder unter mail@diakonie-remchingen.de möglich.

Die Lokale Allianz für Menschen mit Demenz Remchingen setzt sich aus mehreren Partnern zusammen und versucht, die Öffentlichkeit sachgerecht zum Thema Demenz zu informieren und sich für einen demenzfreundlichen Umgang in der Gemeinde zu engagieren. Der „Wegweiser Demenz“ informiert umfassend über die Krankheit und mögliche Anlaufstellen für Hilfe und Unterstützung. Zu finden ist er unter www.remchingen.de.